Krisen-Bewältigung

Wenn man einen nahen Angehörigen verliert oder seinen Job oder an Krebs erkrankt, dann ist das eine schwere Krise. Häufig gibt es dann als Trost gemeinte Ratschläge:

„Jede Krise ist auch eine Chance.“

„Wer weiß, wo für das gut ist.“

„Zeit heilt alle Wunden.“

Diese Ratschläge sind für den Betroffenen schlimm, weil sie banal sind und überhaupt nicht trösten. Leider wirken die meisten gut und tröstend gemeinten Worte schlimm. Es wirkt viel tröstender, wenn der Verlust und der Schmerz ernst genommen werden. Und am hilfreichsten ist es, wenn man sich in dem Gefühl der Ausweglosigkeit und Verzweiflung nicht alleine fühlt.

Manche Menschen können in einer Krise auf ihre spirituelle Praxis zurückgreifen, auf Gebete, Meditation oder Yoga. Sie bleiben durch ihre Praxis mit sich und der Welt verbunden und im Fluss. Andere haben das Glück naturbegabte oder geschulte Krisenbegleiter in ihrem Umfeld zu haben, Ehepartner, Geschwister oder wahlverwandte Freunde. Solche Krisenbegleiter haben ein gutes Gespür dafür, wann eine ausführliche Umarmung und Nähe wichtig sind und wann der Betroffene es braucht, in Ruhe gelassen zu werden. Sie bieten die warme Schulter, in die hemmungslos hineingeweint werden kann. Bei Bedarf sind sie nachdenkliche und gut zuhörende Gesprächspartner. Und manchmal verführen sie zu kindischer Albernheit oder zu einer spontanen Sause. So begleitet, können die verschiedenen Phasen der Krise in angemessenem Tempo durchlaufen werden, bis sich das Leben wieder normalisiert hat und ein neues Gleichgewicht hergestellt ist.

Manche Menschen haben diese Hilfen nicht. Sie haben ihr ganzes Leben gerackert und für andere gesorgt. Sie hatten keine Zeit dafür, sich mit Selbst-Liebe zu beschäftigen und sich mir ihrer inneren Kraft-Quelle zu verbinden. Und es gibt auch keine kompetenten Krisenbegleiter in ihrem Umfeld. Wenn sie in eine Lebenskrise geraten, kann daraus ein Strudel entstehen. Depressionen, Panikattacken, Suchterkrankungen, Schlafstörungen, Rastlosigkeit oder körperliche Symptome können die – manchmal chronische – Folge sein.

Wenn ich mit Klienten arbeite, die in einer Krise sind, dann habe ich eine innere Liste, an der ich mich orientiere.

Am wichtigsten ist mir, achtsam und warmherzig zuzuhören. Ich möchte einen Beitrag dazu leisten, dass meine Klienten fühlen können: „Ich bin nicht ganz allein.“

Mein zweites Anliegen ist es, die empfundenen Gefühle als richtig und angemessen zu bestätigen und Orientierungshilfe zu geben: Wie reagiert ein Nervensystem auf eine Krise und welche Phasen durchläuft man in einer Krise? „Ich fühle mich verzweifelt und das ist in meiner Situation und in dieser Phase auch ganz in Ordnung.“ So zu denken verringert das Gefühl des Ausgeliefertseins und erhöht das Gefühl der Selbstbestimmtheit.

Drittens versuchen wir, tägliche Rituale zu etablieren. Waldspaziergänge, das Lesen eines selbst geschriebenen Textes oder eine kleine Meditationsübung helfen dabei, dem aus den Fugen geratenen Leben eine stabilisierende Stütze zu geben.

Solche Rituale können im Laufe der Zeit dabei helfen, neuen Lebenssinn zu stiften und innere Heilung zu erfahren, die weit über die bloße Bewältigung der Krise hinaus geht. Dann kann tatsächlich im Rückblick gesagt werden, dass aus der Krise auch etwas Gutes entstanden ist.

Erst am Ende auf meiner Liste steht meine Rolle als Gesprächspartner, um dabei zu helfen, die Krise mit dem Kopf zu verstehen. Manchmal ist das Verständnis für das Geschehene hilfreich. Manchmal ist es aber auch einfach nicht zu verstehen. Manchmal kann die Frage „Warum ich?“, „Warum mein Partner?“, „Warum mein Kind?“ nicht beantwortet werden. Manchmal ist der Verlust einfach nur schrecklich. Und wenn man dann zu sehr nach Antworten sucht, weil man sich gegen die schmerzhaften Gefühle wehrt, dann entsteht ein Stau und die Bewältigung der Krise stagniert.

 

panta rhei – Alles fließt.
Heraklit

 

Die Schwester des Glücks ist das Leid. Wer es verleugnet, verdrängt oder betäubt, der betäubt auch sein Glück. Nur wer lernt, Leid zu besiegen, macht sich wirklich frei von negativen Gefühlen – findet dauerhaft zu innerer Zufriedenheit.
Dalai Lama

 

Verweile nicht in der Vergangenheit, träume nicht von der Zukunft. Konzentriere dich auf den gegenwärtigen Moment.
Buddha